~4200 Wörter; 12-16 Minuten Lesezeit.
Autor: Lukas Buschkühl
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Trainingsplanung ist Erschöpfungsmanagement. Dein Trainingsplan ist ein Werkzeug, mit Hilfe dessen du die auf deinen Körper wirkende Belastung und die daraus resultierende Erschöpfung dosierst. Jedes Mal, wenn du die richtige Art der Erschöpfung richtig dosierst, passt sich dein Körper an und kommst deinem Ziel ein Stück näher.
Die 'richtige Art der Erschöpfung' bedeutet, dass jede Aktivität in deinem Trainingsplan dich näher an dein Ziel bringen sollte. Wenn du beispielsweise stärker werden und deinen Körper formen willst und den Großteil deiner Trainingszeit mit Ausdauertraining und Stretching verbringst, dann verschwendest du deine Zeit.
Um effektiv Fortschritte zu machen musst dir über drei Dinge im klaren sein:
Meist machen wir uns nur Gedanken über den ersten Punkt. Du sparst auf lange Sicht Zeit und Energie, wenn du für dich die Punkte Zwei und Drei klärst.
»Ich will meinen Körper in Form bringen.«
»Ich will Fett abnehmen.«
»Ich will Muskulatur aufbauen.«
»Ich will meine Muskeln definieren.«
»Ich will meinen Körper straffen.«
»Ich will nackt besser aussehen.«
»Ich will fitter werden.«
»Ich will stärker werden.«
»Ich will meine Ausdauer verbessern.«
»Ich will etwas für meine Gesundheit tun.«
»Ich will meine Rücken- und Nackenschmerzen loswerden.«
»Ich will meine Körperhaltung verbessern.«
»Ich will meine Gelenke und Bandscheiben stabilisieren.«
All diese Zielsetzungen höre ich als Coach seit vielen Jahren täglich in unterschiedlichen Formulierungen. Gern auch mal von ein und derselben Person. Auf den ersten Blick wirkt das komplex. Im Kopf entsteht eine Karte mit weitaus mehr Punkten als nur A, B und C und unzähligen Querverbindungen.
Tatsächlich wird das Jonglieren mehrerer Fitnessziele erst für sehr weit fortgeschrittene Athleten kompliziert. Wenn ein Lifter, der schon über 350 kg hebt, noch stärker werden will, dann ist sein Ziel nicht mehr unbedingt mit Gesundheit, Fitness und einem attraktiven Körper vereinbar. Für nicht-professionelle Sportler sind die oben gelisteten Aussagen einfach nur unterschiedliche Formulierungen für ein und das selbe Ziel:
»Ich will fitter werden.«
Für die meisten Lifter bedeutet 'fit werden' konkret eine Mischung aus:
»Ich will Abnehmen/ Zunehmen/ nackt besser aussehen/ meine Muskeln definieren/ meinen Körper straffen«
Heißt im Klartext:
»Ich will Muskeln aufbauen und Fett abbauen, so dass mehr Muskulatur sichtbar ist.«
Es gibt keine ‚definierten‘ und ‚undefinieren‘ Muskeln, genau so wie es keine ‚fetten‘ und ‚mageren‘ Muskeln gibt. Alle Muskeln sind mager, da sie aus Muskelfasern und nicht aus Fett bestehen. Wenn deine Muskeln nicht sichtbar sind, dann liegt es daran, dass sie klein sind und von deinem Fett verdeckt werden. Ein ‚definierter‘ oder ‚straffer‘ Körper ist ein Körper mit möglichst wenig Fett und möglichst viel Muskulatur.
Wer sich von Knie-, Rücken- und Nackenschmerzen befreien und seine Gelenke stabilisieren will, der will Fett abbauen und Muskeln aufbauen. Ein Körper, der viel Fett mit sich rumtragen muss und wenig Muskulatur aufweist, fühlt sich schwer an, hat eine schlechte Haltung und ist anfälliger für Schmerzen, Krankheiten, Unfälle und Stürze.
Solange du kein Profisportler bist ist völlig egal, ob dein Ziel ist, besser auszusehen, etwas für deine Gesundheit zu tun oder mehr leisten zu können. Das Eine geht zwangsläufig mit dem Anderen einher.
Auch wenn Fortschritte in Fitness, Aussehen und Gesundheit in den allermeisten Fällen Hand in Hand gehen, ist eine Unterscheidung nicht unwichtig. Wenn du spezielle Ziele hast oder schon sehr weit fortgeschritten bist und ohne Umwege auf deine Ziele hinarbeiten willst, profitierst du davon, den Unterschied zwischen allgemeiner Fitness und spezifischer Fitness zu kennen.
Wenn du spezifisch fit bist, dann bist du möglichst widerstandsfähig gegenüber den spezifischen Belastungen denen du tatsächlich ausgesetzt bist. Ein Briefträger ist anders spezifisch fit als ein Umzugshelfer und ihre Körper sehen dementsprechend auch anders aus. Erschöpfung, die stark genug ist, um zu einer körperlichen Anpassung zu führen, wird nicht nur durch Training sondern durch alle Arten körperlicher Belastung erzeugt, die höher ist als dein Belastungswiderstand.
Spezifische Fitness wird am offensichtlichsten, wenn man Profisportler vergleicht, beispielsweise einen Sumoringer mit einem Marathonläufer. Das Training bestimmt den Großteil des Alltags beider Sportler. Ihre Körper sind an die spezifischen Belastungen ihres Trainings angepasst. Beide Sportler sind sehr fit im spezifischen Sinne und gleichzeitig unfit im allgemeinen Sinne.
Wenn du allgemein fit bist, dann bist du möglichst widerstandsfähig gegenüber möglichst vielen unterschiedlichen Belastungen. Ein allgemein fitter Körper kann in unterschiedlichen Not- und Gefahrensituationen adäquat reagieren. Aus diesem Grund nehmen wir allgemein fitte Körper intuitiv als attraktiv wahr: Wir sehen darin einen potentiellen Partner mit hohen Überlebenschancen.
Deswegen empfinden die meisten Menschen die Körper von Feuerwehrmännern und Navy Seals intuitiv attraktiver als die Körper von Sumoringern, Marathonläufern oder Hardcore Bodybuildern. Zu viel Körperfett (Sumoringer) senkt deine allgemeine Fitness. Das Gleiche gilt für nicht mehr auf natürlichem Wege aufbaubare Mengen an Muskulatur (Hardcore Bodybuilding) und für sehr geringe Muskelmasse (Marathonläufer).
Wer 450 kg heben kann aber keine 200 Meter sprinten kann und mit Atemmaske schlafen muss ist im allgemeinen Sinne genau so unfit wie jemand, der 80 Kilometer laufen kann aber zu schwach ist, einen anderen Menschen zehn Meter weit zu tragen.
Keine Sorge: Niemand landet aus Versehen auf der Mr. Olympia Bühne oder läuft einen Marathon in unter 2,5 Stunden. Jahrzehntelanger, täglicher Einsatz des Großteils deiner Zeit und Energie sind notwendig, um ein Level spezifischer Fitness zu erreichen, dass deine allgemeine Fitness zunichte macht. Darüber hinaus benötigst du noch eine für die von dir gewählte Sportart günstige Genetik, um überhaupt solche Level erreichen zu können.
Das Problem ist, dass wir aus irgendeinem Grund Schwierigkeiten haben, diese simple Tatsache zu akzeptieren. Wir sehen uns die extremsten unter den Extrembeispielen an und haben plötzlich die völlig unbegründete Angst, mit weitaus weniger als einem Millionstel des Einsatzes an Zeit und Energie aus Versehen die gleichen Ergebnisse zu ernten:
Beide Lager machen sich dabei gern über das jeweils andere lustig. Ich habe es unzählige Male erlebt, dass ein Lifter den Kopf darüber schüttelt, dass seine Freundin Angst hat, durch das bloße Berühren einer 5 kg Kurzhantel plötzlich auszusehen wie ein Mann. Die gleichen Typen schauen mich aber an, als sei ich verrückt, wenn ich ihnen erkläre, dass die vollständige Vermeidung von Ausdauertraining ihren Erfolg im Krafttraining behindert.
Wenn du aussehen möchtest, wie ein Navy Seal oder Feuerwehrmann, jemand, der einen anderen Menschen drei Stockwerke hinauftragen kann, ohne völlig aus der Puste zu sein, dann brauchst du eine spezielle Mischung aus Ausdauertraining, Maximalkrafttraining und auf Muskelaufbau ausgerichteter Trainingseinheiten. Wenn du aussehen möchtest wie ein Strongman, brauchst du ein anderes Mischverhältnis und als Marathonläufer ein wiederum anderes Verhältnis. Deshalb ist es wichtig, zu wissen, wo genau du hin willst.
Die meisten Menschen unterschätzen völlig, was unterschiedliche Trainings- und Ernährungsgewohnheiten bei ein und dem selben Körper ausmachen können. Die folgenden vier Fotos aus unterschiedlichen Phasen meiner Trainingskarriere verdeutlichen das:
Das erste Foto von links stammt aus einer Zeit, in der ich mit dem Fahrrad ein halbes Jahr lang quer durch Europa gefahren bin. Keinerlei Krafttraining und jeden Tag mindestens sechs Stunden Cardio sorgten für geringe Muskelmasse (Fat Free Mass Index von 18) und einen niedrigen Körperfettanteil von etwa 10%. Ich aß zu dieser Zeit nach Hungergefühl, was durch das hohe Ausdauertrainingsvolumen geschätzt um die 3.000-7.000 kcal pro Tag waren, abhängig von der Tagesstrecke.
Das zweite Foto von links stammt aus meiner Zeit als völliger Einsteiger im Krafttraining. Ich hatte damals überhaupt keine Ahnung von gar nichts. Jedes Mal, wenn meine Fortschritte stagnierten, holte ich mir Rat in verschiedenen Internetforen. Dieser Rat lautet immer gleich: »Einfach mehr essen«. Am Ende lag ich bei etwa 6.000 kcal pro Tag. Diese Strategie bescherte mir in Kombination mit einem zu niedrigen Krafttrainingsvolumen, wie es für Einsteigerprogramme typisch ist, und der Vermeidung von Ausdauertraining, viel Muskelmasse (Fat Free Mass Index von 22), die aber unter dem hohen Körperfettanteil von ~30% verschwand.
Das dritte Foto von links stammt aus einer Zeit in der ich an jedem Wettkampf im Strongman und Powerlifting teilnahm, für den ich einen Startplatz ergattern konnte. Drei Mal 20 Minuten hochintensives Ausdauertraining pro Woche (high intensity interval) gepaart mit mindestens zwölf Stunden Krafttraining pro Woche und 10.000 kcal pro Tag. Meine Leistungsfähigkeit zu dieser Zeit war top. 330 kg fühlten sich ohne Zughilfen leicht an. Was Gesundheit und Lebensqualität angeht, sah es für mich mit 123 kg Körpergewicht allerdings weniger rosig aus. Aus diesem Grund wollte ich meine damaligen Gewohnheiten schon nach etwa einem Jahr nicht länger beibehalten.
Das vierte Foto von links ist zu einer Zeit mit den folgenden Gewohnheiten entstanden: Zwei Mal 30 Minuten moderates Ausdauertraining pro Woche (low intensity steady state). Vier Mal 60 Minuten Krafttraining pro Woche. Naturbelassene intuitive Ernährung nach Hungergefühl, ohne Zählen der Kalorien und Makros.
Die meisten von uns haben diesen Satz unzählige Male gehört und auch schon selbst ausgesprochen. Wer etwas für seine Gesundheit tun will, der muss seine Gewohnheiten so verändern, dass die Chancen auf ein möglichst langes, beschwerdefreies und selbstbestimmtes Leben steigen. Jeder hat ein Interesse daran, das eigene Risiko auf chronische Schmerzen, Beschwerden und Krankheiten zu senken, so lange wie möglich fit zu bleiben und den eigenen Alltag ohne fremde Hilfe bewältigen zu können.
Die Forschung liefert uns inzwischen klare Antworten auf die Frage welche Aspekte unserer Leistungsfähigkeit entscheidend für unsere Gesundheit sind. Daraus ergeben sich direkte Empfehlungen für die Planung und Gestaltung des Trainings für jeden, der gesundheitsorientiert trainieren möchte.
Obwohl die Forschung seit Langem klare Antworten liefert, scheint davon in der Fitnessbranche hierzulande bisher nichts anzukommen. Was hierzulande als "Gesundheitssport" beworben und verkauft wird, hat absolut nichts damit zu tun, was die Studienlage als wirklich gesundheitsförderlich belegt. Gesundheitssport heißt in Deutschland leider immer noch: Gruppengymnastik bei der jegliche Anstrengung strengstens verboten ist. Selbst Kniebeugen ohne zusätzliches Gewicht(!) und das bloße nach vorn Beugen des Rumpfes gelten dabei schon pauschal als 'überfordernd und deshalb schädlich' und werden in den Verträgen, die man als kassengeförderter Rehatrainer unterschreibt, untersagt. Ich habe viele Jahre lang Rehakurse angeleitet. Den Effekt dessen, wozu man die Patienten dort ermutigen darf, als 'katastrophal' zu bezeichnen, ist untertrieben.
Dabei ist die Studienlage eindeutig:
Je mehr Muskulatur du an deinem Körper trägst und je leistungsfähiger dein zentrales Nervensystem und dein Herz-Kreislaufsystem sind, desto besser. [1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10]
Das widerlegt die Behauptung, dass Leistungssport ungesund sei. Das Gegenteil ist der Fall: Nur wer bei seinem Training die eigene Leistung langfristig im Blick behält, tut wirklich etwas für seine Gesundheit. [13, 14]
Ab deinem dreißigsten Lebensjahr verlierst du bei körperlicher Inaktivität, was inzwischen die gesellschaftliche Norm ist, innerhalb von zehn Jahren 3-8% deiner Gesamtmuskulatur. Auch die regelmäßige Teilnahme an einem Rehakurs gilt leider als körperliche Inaktivität, da in diesen Kursen nicht genug Belastung erzeugt wird, um einen Körper mittels Erschöpfung zu einer positiven Anpassung zu zwingen. Der Muskelverlust durch das Altern beschleunigt sich ab dem fünfzigsten Lebensjahr, so dass die meisten Menschen mit Achtzig bereits mehr als die Hälfte ihrer Muskulatur verloren haben.
Was das bedeutet belegten Kraschnewski et al. [11]. Das Team führte eine fünfzehnjährige Kohortenstudie mit mehr als 30.000 Probanden durch. Probanden, die drei mal wöchentlich Krafttraining machten, verringerten ihre Gesamtsterblichkeit im Vergleich zum Durchschnitt um 46%. Es konnte eindeutig festgestellt werden: Je mehr trainiert wurde, desto besser der Effekt auf die Gesundheit. Das ist nicht verwunderlich. Du verlierst mit fortschreitendem Alter immer mehr und mehr deiner Leistungsfähigkeit. Je mehr Leistungsfähigkeit du dir vorher im Laufe deines Lebens erarbeitet hast, desto größer deine Reserven und je stärker du im Alter gegen den Verfall ankämpfst, desto länger halten deine Reserven.
Das beste Beispiel dafür ist der indische Bodybuilder Manohar Aich, der 1952 den Mr. Universum Titel errang und 102 Jahre alt wurde.
1952 - 38 Jahre alt
2004 - 90 Jahre alt
2015 - 101 Jahre alt
Die Bilder sprechen für sich. Wer wirklich vorsorgt und nie aufhört, regelmäßig zu trainieren, kann mit 90 Jahren immer noch selbstständig den eigenen Alltag bewältigen und muss sich kaum Sorgen machen um Stürze und andere aus mangelnder Fitness resultierende Unfälle. Zu den Bildern muss erwähnt werden, dass Aich im Alter von 99 Jahren einen Herzinfarkt erlitt und danach nicht mehr trainierte. Selbst nach zwei Jahren Trainingspause (Bild ganz rechts) war immer noch genug Muskulatur übrig, um selbstbestimmt zu Leben.
Leistungssport ist nicht ungesund. 'Leistungssport' bedeutet nicht, dass du auf Kosten deiner Gesundheit das Weltklasseniveau erreichen willst.
'Leistungssport' bedeutet erst mal nur, dass du mit dem Ziel trainierst, langfristig und nachhaltig deine eigene Leistungsfähigkeit zu erhöhen.
Körperliche Anpassungen hin zu mehr Leistungsfähigkeit, wie du sie in den Bildern oben siehst, vollziehen sich nur dann, wenn du sie deinem Körper durch regelmäßige, korrekt dosierte Belastung abverlangst.
Die Debatte, ab welchem Punkt Sport ungesund ist, wird auf einer ganz anderen Ebene geführt. Es geht dabei nicht um leistungsorientierten Sport, sondern um Elite Wettkampfsport und das damit verbundene Doping. [11] Diese Debatte ist für diesen Guide gar nicht relevant.
Ruiz et al. [1] führten mit mehr als 8500 Männern zwischen 20 und 80 Jahren Kraft- und Ausdauertests durch und beobachteten diese über 18 Jahre. Innerhalb dieser 18 Jahre starben 503 Probanden, davon 145 an Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems und 199 an Krebs. Eingeteilt nach Kraftleistung wiesen die Probanden des schwächsten Drittels eine 50% höhere Gesamtsterblichkeit auf als das stärkste Drittel. Das Risiko auf tödliche Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems war im schwächsten Drittel 85% höher als im stärksten. Das Risiko, an Krebs zu sterben war im schwächsten Drittel 50% höher als im stärksten Drittel.
Ling et al. fanden in ihrer Untersuchung im schwächsten Drittel der 85-jährigen Probanden eine 35% erhöhte Gesamtsterblichkeit und bei den 89-jährigen Probanden eine um 104% erhöhte Gesamtsterblichkeit. Diese Zahlen zeigen, dass wir im normalen Sprachgebrauch nicht zufällig davon sprechen, 'an Altersschwäche zu sterben'. [2] Unabhängig von der Kraftleistung konnte den Probanden mit höherer Leistungsfähigkeit des Herz-Kreislaufsystems eine höhere Lebenserwartung nachgewiesen werden.
Krafttraining, idealerweise mit freien Gewichten, ist (für die meisten Menschen) die wichtigste Aktivität für ein möglichst langes, beschwerdefreies und selbstbestimmtes Leben, dicht gefolgt von Ausdauertraining.
Dass die Leistungsfähigkeit deines Herz-Kreislaufsystems für deine Gesundheit von Bedeutung ist, wird für dich nicht neu sein. Die gesundheitsförderlichen Effekte des Ausdauertrainings sind schon lange weitflächig bekannt. Dass Krafttraining einen so positiven und unersetzbaren Effekt auf unsere Gesundheit hat, ist den meisten Deutschen leider immer noch völlig unbekannt. Nicht zuletzt deswegen ist dieser Guide von Bedeutung.
Vor dem Hintergrund der Studienlage ist es frustrierend, immer wieder erleben zu müssen, wie meinen Klienten von Ärzten geraten wird, mit dem Krafttraining aufzuhören, da diese Art des Sports 'ungesund und unnatürlich' oder 'gar kein Sport' sei.
Ich selbst kann inzwischen nicht mehr zählen, wie oft mir geraten wurde, mit dem Sport aufzuhören, mit Hilfe dessen ich die chronischen Schmerzen nach meinem Bandscheibenvorfall in den Griff bekommen habe, meinen Blutdruck gesenkt habe und fürs Alter vorsorge. Wenn dieser Rat von Laien kommt ist das in Ordnung. Sehr ärgerlich ist es, wenn dieser Rat von Profis aus dem Gesundheitsbereich kommt, da durch so etwas Patienten, die durchaus motiviert sind, für ihre Gesundheit im Alter vorzusorgen, davon abgehalten werden. Insbesondere zu einer Zeit, in der sich Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck, Adipositas, Osteoporose und Krebs sich immer weiter verbreiten und bei immer jüngeren Menschen auftreten.
Ich möchte an dieser Stelle explizit darauf hinweisen, dass ich absolut kein Freund der Verschwörungstheorien um 'Big Pharma' bin. Ich finde die Idee, dass 'die Pharmaindustrie' 'uns alle' krank halten will extrem kurz gedacht und schlicht und einfach respektlos und beleidigend gegenüber all den Menschen, die tagtäglich ihr Herzblut in Heilberufe stecken. Ich würde niemals einem Arzt, der einen meiner Klienten vom Kraftsport abhalten will, Böswillen unterstellen. Was ich kritisiere ist, dass das Wissen darüber, wie förderlich Kraftsport tatsächlich ist, im Gesundheitswesen kaum verbreitet ist, obwohl sich die Studienlage seit über 20 Jahren immer weiter verdichtet.
Wenn du zu den Liftern gehörst, die Ausdauertraining hassen und einfach nur die Minimalanforderungen erfüllen willst, habe ich gute Nachrichen für dich: Krafttraining mit freien Gewichten erhöht nicht nur deine Kraftleistung und baut Muskulatur auf, sondern trainiert gleichzeitig deine Koordination, deine Beweglichkeit, deinen Gleichgewichtssinn und zu gewissen Teilen auch deine Ausdauerleistungsfähigkeit.
Die Belastung, die bei einem langen Arbeitssatz von zehn bis zwölf Wiederholungen Kniebeuge auf dein Herz-Kreislaufsystem wirkt, unterscheidet sich nicht wesentlich von der Belastung eines 400 Meter Laufs. Dein gesamter Körper ist in beiden Fällen für 40-60 Sekunden unter Spannung und gerät in eine Sauerstoffnot. Durch die Sauerstoffnot wirst du nach den Kniebeugen genau wie nach dem 400 Meter Lauf einen roten Kopf haben und völlig aus der Puste sein. Selbstverständlich passt sich dein Herz-Kreislaufsystem infolge dieser Belastung an. [47, 48, 49]
Insbesondere wer noch jung und mit einer günstigen Genetik gesegnet ist, kann häufig allein mit Krafttraining die folgenden Gesundheitsparameter erreichen:
*'Besser' bedeutet in diesem Fall weniger LDL Cholesterin und mehr HDL Cholesterin. Grund dafür ist die Funktionsweise des HDL Cholesterins. HDL Moleküle transportieren abgelagertes Cholesterin aus der Blutbahn und verhindern so die Gefäßverkalkung, die zu Herzinfarkten und Schlaganfällen führt. Ein höherer HDL Wert bedeutet also ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen. Das Verhältnis von LDL zu HDL ist der entscheidende Faktor, nicht der Gesamtcholesterinwert, zu dem oft leider immer noch HDL dazugerechnet und nicht, wie es korrekt wäre, abgezogen wird. [56, 57, 58, 59]
Ob du persönlich, um diese Werte zu erreichen, zusätzlich zu den durch das Krafttraining verursachten Anpassungen zusätzliches Ausdauertraining benötigst, hängt von vielen Faktoren ab: Genetik, Alter, Training, Ernährung, Alkohol, Rauchen und Übergewicht sind dahingehend die größten Einflüsse. [60, 61, 62, 63, 64]
Während leistungsorientiertes Ausdauertraining bei nahezu allen Liftern den Herzrhythmus stabilisiert und vor dem Abbau von Knochenmasse schützt, kann Ausdauertraining mit sehr hohem Volumen bei genetisch Begünstigten über das Ziel hinausschießen. In solchen Fällen ist das Risiko auf Herzrhythmusstörungen durch einen zu niedrigen Ruhepuls sowie Ermüdungsbrüche in den Knochen den unteren Extremitäten, insbesondere der Mittelfußknochen und der Schienbeine erhöht. [65, 66, 67] Dabei geht es aber explizit nicht um intensives oder leistungsorientiertes Training, sondern um Wettkampftrainingsvolumen von mehr als 25 Stunden pro Woche in Verbindung mit einer Genetik, die eine sehr hohe Leistung im Ausdauersport ermöglicht.
Ab deinem dreißigsten Lebensjahr verlierst du bei körperlicher Inaktivität alle zehn Jahre 3-8% deiner Gesamtmuskulatur. Der Muskelverlust beschleunigt sich ab dem fünfzigsten Lebensjahr. Die meisten Menschen haben mit Achtzig über die Hälfte ihrer Muskulatur verloren.
Dieser Effekt heißt 'Sarkopenie' und ist der Grund dafür, dass es sich nur sehr wenige Menschen leisten können, ein Leben lang völlig auf Krafttraining zu verzichten. Wer auf Krafttraining verzichten möchte, sollte von Natur aus so viel Muskulatur haben, dass er eine ganze Menge davon verlieren kann, bevor er nicht mehr stark genug ist, sich bei einem Sturz effektiv abzufangen. Dass du zu dieser Art von Mensch gehörst erkennst du daran, dass du im Alter von 12 Jahren aussiehst wie andere nach vielen Jahren Training aussehen.
Eddie Hall im Alter von 12 Jahren.
Jeff Seid im Alter von 12 Jahren.
Ich habe als Coach bereits einige Ausnahmesportler auf Wettkämpfe vorbereitet. Als Normalsterblicher, der ein Jahr arbeiten muss, um ein paar Kilogramm Muskulatur aufzubauen, kann man sich kaum vorstellen, wie schnell so ein Aufbau bei Ausnahmetalenten vonstatten geht. Ich musste es selbst erst mit eigenen Augen sehen.
Wenn solche Ausnahmetalente in Interviews gefragt werden, wie sie zum Sport kamen, ist die Geschichte immer gleich: Sie wurden von ihren Klassenkameraden nach ihren Trainingsplänen gefragt und wie oft sie in welchem Gym trainieren, obwohl sie noch nie ein Gym betreten haben. Diese Menschen haben vom zu Fuß zur Schule gehen muskulösere Oberschenkel als ein Normalsterblicher, der seit sechs Jahren drei Mal wöchentlich Kniebeugen macht.
Als Ronnie Coleman das erste Mal ein Gym betrat, kam der Besitzer auf ihn zu und bot ihm an, kostenlos dort trainieren zu können, wenn er dafür nur weiterhin in diesem Gym trainieren würde.
Als Dorian Yates mit 16 Jahren inhaftiert wurde, fing er an, im Gefängnisgym zu trainieren. Nach sechs Monaten war er muskulöser und stärker als alle anderen Insassen.
Wenn du so mit so einer Ausnahmegenetik gesegnet wärst, dann wüsstest du es. Du wüsstest es, weil du in der Umkleide vor dem Sportunterricht von all deinen Mitschülern angestarrt wurdest und jeder wissen wollte, was dein Geheimnis ist. Dein Geheimnis ist, dass du dir die richtigen Eltern ausgesucht hast.
Wenn du zu diesen Menschen gehörst, dann kann ambitioniertes Krafttraining aus rein gesundheitlicher Sicht sogar kontraindiziert sein, weil du innerhalb sehr kurzer Zeit so viel Muskulatur aufbauen kannst, dass das sich deine Atemwege im Halsbereich verengen, was wiederum das Schlafapnoe-Syndrom begünstigt. Dabei bekommt das Hirn im Schlaf nicht genug Sauerstoff und die Betroffenen müssen nachts unterstützend beatmet werden.
Wenn mir früher jemand gesagt hat 'Ich möchte nicht aussehen wie ein Bodybuilder' dann lautete meine Antwort immer 'Keine Sorge, dafür brauchst du jede Menge Steroide, das passiert nicht aus Versehen'. Inzwischen sehe ich das aufgrund meiner Arbeitserfahrung anders. Wenn der Klient, der mir gegenüber diese Sorge äußert, muskulöser ist als ich, obwohl er noch gar nicht mit dem Krafttraining angefangen hat, dann ist es nicht völlig unwahrscheinlich, dass er durch ambitioniertes Krafttraining Schlafapnoe bekommt.
Als Normalsterblicher brauchst du dir allerdings selbst mit einem sehr ambitionierten Krafttrainingsvolumen keine Sorgen machen. Ganz im Gegenteil wird das Schlafapnoe-Syndrom normalerweise nicht von zu viel Muskulatur im Halsbereich, sondern durch einen zu hohen Körperfettanteil verursacht. Interessanterweise können die Beschwerden der Betroffenen durch Krafttraining gelindert werden, selbst wenn diese ihren Körperfettanteil nicht verringern. [68]
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